Wir lesen vor
Ich bin Polizist.
Ich jage Verbrecher.
Ich habe ein
spannendes Leben.
Wie im Krimi.
Das denken die Leute.
Aber
mein Beruf ist ganz anders.
Ich tauche oft ein in eine dunkle Welt.
In dieser Welt ist
vieles normal.
Vieles, das eigentlich nicht normal ist:
Einen
Laden überfallen ist normal.
Weil man Geld braucht.
Drogen
nehmen ist normal.
Weil man es sonst nicht aushält.
Seine
Frau schlagen ist normal.
Einfach so.
Manchmal schlägt
auch eine Frau ihren Mann.
Oder beide schlagen ihre Kinder.
Wenn die Nachbarn das hören, hören sie oft weg.
Manchmal hören
sie aber auch hin.
Wenn sie nicht weghören können.
Wenn
es zu schlimm wird.
Zu laut
Zu gefährlich.
Dann rufen
sie uns.
Die Polizei.
Dann fahren wir so schnell es geht.
Mit Blaulicht.
Und
Sirene.
Denn manchmal geht es um Leben oder Tod.
Manchmal
sind die Leute sehr wütend.
Und sehr brutal.
Und sehr
betrunken.
Oder high.
Das bedeutet, dass sie Drogen
genommen haben.
Ich mag meinen Beruf.
Aber manchmal ist er sehr hart.
Schwer
zu ertragen.
Manchmal werde ich beschimpft und bespuckt.
Oder
sogar angegriffen.
Ich habe schon viele schlimme Dinge gesehen.
Manchmal würde ich am liebsten nicht hinsehen.
Aber das geht
nicht.
Ich muss ganz genau hinsehen.
Denn genau das ist
meine Aufgabe.
Und ich versuche, den Leuten zu helfen.
Und
ein bisschen Ordnung ins Leben zu bringen.
Weil ich schon so viel Schlimmes gesehen habe,
will ich keine
Kinder.
Nicht in dieser Welt.
Mit all der Gewalt und dem
Hass.
Und der Gleichgültigkeit.
Meine Frau ist sehr
traurig deswegen.
Sie versteht das nicht.
Sie sagt:
„Wir
machen es doch anders!
Wir haben so viel Liebe in unserem
Leben.
Wir können diese Liebe teilen.
Und weiter geben.
Ich möchte so gerne ein Kind mit Dir!“
Aber ich will nicht.
Nach jedem Einsatz weiß ich das
besser.
Nach jeder Schlägerei.
Nach jedem Diebstahl.
Nach
jedem Mord.
Nach jedem tot getretenen Obdach-losen.
Nach
jedem Jugendlichen,
den wir süchtig auf der Straße finden.
Ich
versuche zu helfen.
Aber manchmal verliere ich den Mut.
Meine Frau sagt:
„Aber das Leben ist doch auch schön.“
Ich
denke dann:
Aber zu oft ist es schrecklich.
Es ist keine
Welt für Kinder.
Doch plötzlich ist alles ganz anders.
Wieder ein Einsatz.
Wir sind vor wenigen Minuten gerufen
worden.
Jetzt stehen wir vor einem Haus.
In dem Haus sind
viele Wohnungen.
Es hat viele Stockwerke.
Hinter uns blinkt
das Blaulicht.
Die Nachbarn stehen auf der Straße.
Sie
sagen, sie haben im dritten Stock Schreie gehört.
Laute,
wütende Schreie.
Dann Angst-Schreie.
Dann
Schmerzens-Schreie.
Jetzt ist dort alles still.
Wir legen unsere Schutz-Kleidung an.
Wir wissen nicht, ob da
oben jemand eine Waffe hat.
Auf dem Weg nach oben sind wir
still.
Ich stehe mit meinen Kollegen im Aufzug:
Zwei Frauen
und ein Mann.
Wir sind alle nervös.
Wir wissen nicht, was
uns erwartet.
Im dritten Stock steigen wir aus dem Aufzug.
Dann
stehen wir vor der Tür zu der Wohnung.
Die Wohnung mit den
Schreien.
Und jetzt die Stille.
Wir nicken uns zu.
Wir
machen uns bereit.
Dann klingeln wir.
Nichts.
Wir klopfen laut.
Wir hämmern an die Tür.
Wir
rufen:
„Aufmachen! Polizei!“
Niemand öffnet.
Wir
lauschen.
Alles ist still.
Wir klingeln.
Und
klopfen.
Und rufen.
Noch einmal.
Nichts.
Dann brechen wir die Tür auf.
Und wir stehen vor einer
Katastrophe.
Drinnen liegen zwei Menschen auf dem Boden.
Überall sind
Glassplitter.
Und überall ist Blut.
Auf den Menschen.
Auf
dem Boden.
An den Wänden.
An den Möbeln.
Es ist
schrecklich.
Wir rufen den Krankenwagen.
Meine Kollegen schauen in die
anderen Zimmer.
Ich knie mich neben die Zwei,
die am Boden
liegen.
Ich prüfe den Puls.
Erst bei der Frau.
Dann
bei dem Mann.
Ein Messer liegt neben ihnen.
Ein Messer hat
der Mann noch in der Hand.
Der Mann und die Frau haben die Augen
offen.
Aber beide sehen nichts mehr.
Beide sind tot.
Ich
bin sehr traurig.
Beide sehen noch so jung aus.
Wir sperren den Tatort ab.
Vor der Tür sind viele
Schau-Lustige.
Mir ist schlecht.
Warum musste das hier
passieren?
Wir haben die Spuren-Sicherung gerufen.
Vielleicht
finden sie etwas heraus.
So lange müssen wir noch warten.
Und
aufpassen.
Dann müssen wir die Nachbarn befragen.
Als
Zeugen.
Ein Verbrechen muss aufgeklärt werden.
Auf einmal höre ich ein Geräusch.
Es klingt wie
Baby-Weinen.
Ich schaue mich um.
Meine Kollegen sichern die
Eingangs-Tür.
Sie haben ein gelbes Band gespannt.
Eine
Kollegin sieht ganz blass aus.
Ich höre das Geräusch
wieder.
Hinter den beiden Toten ist ein Schrank.
Auch
darauf sind Blut-Spritzer.
Mir ist flau im Magen.
Es riecht
komisch.
Ich öffne die Tür zum Schrank.
Mir stockt der
Atem.
In dem Schrank liegt ein Baby!
Ein kleines Baby.
Es
weint.
Es fuchtelt mit seinen Ärmchen.
Aber dann sieht es
mich.
Und hört auf zu weinen.
Es schaut mich aus blauen
Augen an.
Dann lächelt das Baby.
Und mein Herz
schmilzt.
Einfach so.
Ich vergesse die schreckliche Tat.
Die Toten hinter mir.
Das
viele Blut.
Ich lächle das Baby an.
Ich sage leise:
„Hallo
Du!“
Vorsichtig hebe ich es hoch.
Hinter mir höre ich meine Kollegen.
„Ach Du Scheiße!“
„Ein Baby!“
„Es sieht komisch aus.“
„Kein
Wunder.“
„Ich rufe die Fürsorge…“
„Die nehmen es
mit.“
„Armes Würmchen.“
Ich blende all das aus.
Ich halte das Baby auf dem Arm.
Es
ist warm.
Es riecht gut.
Es ist vielleicht ganz
allein.
Irgendwann wird mir das Baby aus dem Armen genommen.
Ich
will es eigentlich nicht hergeben.
Die Frau vom Sozial-Amt sagt:
„Wir kümmern uns darum.“
Ich
frage:
„Wo bringen sie es hin?“
Sie sagt:
„Erst
mal ins Kranken-Haus.
Dann suchen wir seine
Verwandten.
Vielleicht kann es jemand aufnehmen.“
Ich
frage:
„Halten Sie mich darüber auf dem Laufenden?“
Sie
nickt.
An dem Abend bin ich völlig fertig.
Meine Frau hört mir
zu.
Sie tröstet mich.
Ich kann nicht aufhören, an das
Baby zu denken.
Ich rufe beim Sozial-Amt an.
Ich erfahre, dass das Baby ein
Mädchen ist.
Sie ist nur wenige Tage alt.
Sie hat noch
keinen Namen.
Ihre Eltern sind die Toten aus der Wohnung.
Keiner
aus deren Familie will sie aufnehmen.
Sie kommt jetzt in eine
Pflege-Familie.
Aber nur für wenige Wochen.
Sie braucht
besondere Pflege.
Das kann die Pflege-Familie nicht auf
Dauer.
Das kleine Mädchen soll in ein Heim kommen.
Ich denke lange nach.
Ich denke an das kleine, namenlose
Mädchen.
An ihr Lächeln.
Dass sie ganz allein ist.
Dass
sie doch Liebe braucht.
Ich gehe zur Arbeit wie eine leere
Hülle.
Schließlich spreche ich mit meiner Frau.
Ich frage: „Willst
Du immer noch Kinder?“
Sie nickt.
Sie wartet.
Ich
sage: „Das kleine Baby aus der Wohnung im dritten Stock.
Es
hat keinen Menschen.
Aber es könnte uns haben.
Wenn Du
willst.“
Meine Frau fängt an zu weinen.
Es ist ein
glückliches Weinen.
Sehr glücklich.
Ich bin auch
glücklich.
Es fühlt sich richtig an.
Wir nehmen das kleine Mädchen zu uns.
Wir geben ihr einen
Namen: Mira.
Das ist kurz für Miracle.
Das bedeutet
Wunder.
Unser Wunder.
Wir sind eine Familie.
Die Leute
wundern sich.
Sie fragen:
„Warum habt Ihr ein behindertes
Kind adoptiert?“
Wir sagen: „Weil wir sie lieben.
Und
weil sie zu uns gehört.“
Es gibt immer noch viele schlimme Dinge auf der Welt.
Aber Mira macht die Welt schöner.
Diese Geschichte hat mich emotional sehr berührt. Vielen Dank.
Dieser Text hat mich sehr berührt. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Gott sei Dank für Mira! Und für ihre neuen Eltern. Vielleicht hat ihre leibliche Mama sie im Schrank versteckt, als der schlimme Streit begann. Oder der Papa. Hoffentlich verzeiht ihnen Gott.
Diese Geschichte trifft voll ins Herz.Es stimmt genau was in unsere Welt da draußen passiert.Drücke ganz fest die Daumen das diese Geschichte gewinnt.