Wir lesen vor
Das Telefon klingelt.
Es ist Mona.
Meine Freundin Mona im
fernen Freiburg.
Im Winter ist sie weggezogen.
Jetzt ist Sommer.
Ein Sommer
in Hamburg ohne Mona.
Mit Mona bin ich oft an die Elbe gefahren.
Gleich nach
Feierabend sind wir los.
Wir haben die Füße in den weichen
Sand gesteckt.
Wir haben Schiffe geguckt.
Wir haben
überlegt, wohin sie fahren.
Vielleicht nach China oder
Neuseeland.
Wir haben die Container auf den Schiffen gesehen.
Lauter bunte
riesige Kästen, einer über den anderen gestapelt.
Wir haben
uns die Sachen in den Containern vorgestellt:
Viele gelbe
Holz·enten haben wir uns vorgestellt.
Unsere
Holz·enten.
Holz·enten, die wir in der Werkstatt ausgesägt
haben.
Jetzt telefonieren wir nur noch.
„Frauke, wann kommst du mich besuchen?“, fragt Mona.
Mir wird heiß.
So eine weite Reise soll ich machen?
„Du musst nur 7 Stunden mit dem Zug fahren.
Dann bist du
hier“, sagt Mona.
Ich schweige.
Mir fällt nichts ein, gar nichts.
In
meinem Kopf rauscht es.
„Bist du noch da?“, fragt Mona.
Ich nicke.
Das kann sie natürlich nicht sehen.
Darum
legt sie auf.
Ich starre das Handy an.
Ich atme.
Mehr nicht.
Fahren oder nicht fahren
Am nächsten Tag gehe ich zum Bahnhof.
„Ich brauche eine Fahrkarte von Hamburg nach Freiburg.
Und
eine zurück nach Hamburg.
Wie teuer ist das?“, frage ich.
„300 Euro“, sagt die Frau am Schalter.
„300 Euro?“
Ich kann es nicht glauben.
Das ist mehr
Geld, als ich im Monat verdiene.
„Das geht nicht“, sage ich.
Die Frau am Schalter hat eine Idee.
Sie sucht nach billigen
Fahrkarten.
„Hier“, sagt die Frau, „60 Euro hin und zurück.
Dienstag
in drei Wochen hin.
Dann eine Woche später zurück.
Nur
einmal umsteigen.
Sie müssen sich aber schnell entscheiden.
Die billigen Karten sind schnell weg.“
Schnell mag ich nicht.
Mir wird schlecht.
Darum drehe ich
mich um und gehe.
Zuhause steht meine Assistentin vor meiner Tür.
Sie heißt
Inga Grün.
Sie kommt 3 Mal in der Woche.
Heute wollten wir zusammen eine neue Jacke kaufen.
Das habe ich
ganz vergessen.
Ich habe nur an Mona in Freiburg gedacht.
Die
Jacke ist mir jetzt egal.
Also gehen wir in die Küche, trinken
Tee und reden.
Wir reden lange.
Zwischendurch muss ich oft
aufstehen.
Ich laufe durch meine Wohnung.
Ich mache Fenster
auf und zu.
Mein Herz schlägt schnell.
Was will ich
tun?
Will ich so weit mit dem Zug fahren?
Schaffe ich das?
„Was willst du?“, fragt Inga.
„Ich will in Freiburg neben Mona stehen.
Alle sollen
sehen:
Ich bin alleine mit dem Zug durch ganz Deutschland
gefahren.
Das erste Mal.“
Also planen wir die Reise.
Ich muss Urlaub für die Reise
nehmen.
Ich frage meine Chefin.
Es klappt.
Inga und ich kaufen meine Fahrkarten.
Nach Freiburg.
Und
zurück nach Hamburg.
Nur 60 Euro.
Was für ein Glück.
Ich packe den Koffer.
Dabei fahre ich erst in 3 Wochen los.
Abfahrt
Ich wollte die Reise oft absagen.
Aber ich habe es nicht
gemacht.
Manchmal habe ich mir schreckliche Dinge
vorgestellt.
Dass ich im falschen Zug sitze.
Dass der
Schaffner mich rauswirft.
Dass ich im Zug einschlafe.
Dass
ich an Freiburg vorbei·fahre.
An anderen Tagen habe ich am offenen Fenster gesessen.
Ich habe
in die Sonne gelächelt und geträumt.
Von Bergen mit grüner
Wiese habe ich geträumt.
Von Blumen und Kühen.
Wie in der
Werbung.
Jetzt stehe ich mit Inga am Bahnhof.
Mein Zug rollt in den
Bahnhof ein.
Er fährt so schnell.
Vielleicht fährt er
einfach vorbei.
Und die Lok·führerin hat vergessen zu
bremsen.
Aber nein.
Der Zug wird langsamer.
Wir können schon die Nummern an den Wagen sehen.
Nummer 5.
Das
ist meiner.
Der Zug hält.
Ich steige ein.
Inga reicht
mir meinen Koffer.
Die Türen gehen zu.
Inga steht draußen auf dem Bahnsteig und winkt.
Der Zug ruckelt
und fährt langsam los.
Wo ist mein Platz?
Der Gang ist voller Leute.
Die einen suchen ihren Platz.
Die
anderen wollen schnell weiter in den nächsten Wagen.
Ein Mann schiebt seinen Koffer gegen meine Beine.
Ich
schwanke.
Beinah falle ich auf die alte Frau vor mir.
Wo ist mein Sitz·platz?
Wo stehen diese blöden Nummern?
Ich
bin das erste Mal im ICE.
Ich habe das erste Mal einen eigenen
Sitz·platz.
Einen Sitz·platz mit einer Nummer.
Nummer 58,
wo bist du?
Der Mann hinter mir schnauft und murrt.
Sicher ist er sauer über
mich.
Weil ich da stehe und nicht weiß wohin.
Plötzlich spricht der Mann mich an:
„Können Sie die Zahlen
da oben lesen?
Ich hab die falsche Brille auf.“
Er zeigt auf eine Stelle über einem Fenster.
Da oben stehen
also die Zahlen.
Immer 2 Zahlen untereinander.
„50 und 52 steht da“,
antworte ich.
Der Mann stöhnt auf:
„Dann bin ich zu weit gegangen. Aber
danke.“
Er schnauft schwer, dreht sich um und geht zurück.
Jetzt ist alles einfach für mich.
Ich schiebe meinen Koffer
weiter bis zur Nummer 58.
Mein Platz ist nah an einem großen Fach.
In das Fach schiebe
ich meinen Koffer.
Endlich kann ich mich setzen.
Der Platz neben mir ist frei.
Da
kommt mein Rucksack hin.
Ich bin gut vorbereitet.
Ich habe
meine Lieblings·musik dabei.
Außerdem hab ich Wasser, Brote,
Äpfel und natürlich Kopf·hörer.
Unterwegs
Durchs Fenster sehe ich die Elbe.
Ich will Schiffe gucken.
Aber
der Zug fährt weiter.
Am Bahnhof Harburg halten wir das erste Mal.
Harburg kenne
ich.
Danach ist alles neu für mich.
Neue Wiesen, Häuser,
Dörfer und Städte.
Bestimmt kommt gleich der Schaffner.
Ich hole die Fahrkarte
heraus.
Dann muss ich sie nachher nicht suchen.
1 Stunde
halte ich die Fahrkarte in der Hand.
Kein Schaffner weit und
breit.
Schließlich packe ich die Fahrkarte zurück in meinen Rucksack.
Da
kommt der Schaffner.
In Hannover wird der Zug voll.
Leute drängeln durch den
Gang.
Ich stelle den Rucksack vor meine Füße.
Schon sitzt
eine Frau mit Baby neben mir.
Gut.
Da kann mir nicht langweilig werden.
Mit einem Baby
ist immer was los.
Stimmt.
Das Baby verzieht den Mund und
schreit.
Da helfen auch meine Kopf·hörer nicht.
Das Baby
ist lauter als die Musik.
Mit einer Hand hält die Frau das Baby.
Mit der anderen wühlt
sie in ihrer Tasche.
Das ist schwierig.
Ich lächle die
Frau an.
Da setzt sie das Baby auf meinen Schoß.
So war
das nicht gemeint.
Das Baby schreit und zappelt.
Die Frau wühlt weiter in ihrer
Tasche.
Sie findet eine Flasche und nimmt ihr Baby zurück.
Ich sehe zu, wie das Baby trinkt.
So gefällt mir das Baby
besser.
So zufrieden.
Es ist eine lange Fahrt.
Das Baby schläft ein.
Es wacht
auf, es staunt, es lacht mich an.
Wir fahren durch Tunnel.
Wir
halten.
Frau und Baby steigen aus.
Ein Mann mit Computer setzt sich neben mich.
Jetzt wird mir
wirklich langweilig.
Noch 2 Stunden bis Mannheim.
Umsteigen bitte
Rasier·wasser.
Warum riecht es nach Rasier·wasser?
Rauer
Stoff kratzt an meiner Wange.
Ich wache auf.
Eine fremde Schulter direkt vor meiner Nase.
Ich hab mich im
Schlaf an den Mann gelehnt.
Wie peinlich.
Ich rutsche so
weit wie möglich ans Fenster.
„Entschuldigung“, sage ich.
Der Mann murmelt eine Antwort.
Ich kann ihn nicht verstehen.
Mag
aber nicht nachfragen.
Er tippt schon wieder in seinen Computer.
Plötzlich wird mir heiß.
Ich hab geschlafen.
Wie
lange?
Wo sind wir?
Wie spät ist es?
11 Uhr 40.
Was für ein Glück.
Ich hab noch etwas Zeit.
In
14 Minuten sind wir in Mannheim.
Dort muss ich umsteigen.
Ich gehe noch einmal auf die Zug·toilette.
Eklig ist es da.
Dann hole ich meinen Koffer aus dem Fach.
Ich guck noch einmal
auf meinen Platz.
Habe ich was vergessen?
Nein.
Alles
ist wieder im Rucksack.
Der Rucksack ist auf meinem Rücken.
Den
Koffer halte ich in der Hand.
Im Gang lehne ich mich an eine Wand.
Bald kommen andere Menschen
dazu.
Der Zug rollt in den Bahnhof.
Ich steige aus und
schaue auf die Uhr.
In 31 Minuten fährt mein Zug nach Freiburg
ab.
Super.
Noch genug Zeit für einen Kaffee.
Ich geh die Treppe runter.
Da hinten ist eine Bäckerei.
Dort
duftet es gut.
In Mannheim am Bahnhof
Der Kaffee ist heiß.
Ich stelle mich an einen
Steh·tisch.
Schluck für Schluck werde ich munterer.
Ich schaue mich um.
Dort hinten kämpft eine Familie mit ihrem
Gepäck.
Auf einer Bank schmust ein Pärchen.
Eine Frau
reicht einem kleinen Mädchen eine Holz·ente.
Na so was.
Die Ente sieht aus wie eine von meinen Enten.
Meine
Enten aus der Holz·werkstatt.
„Darf ich die Ente mal angucken?“, frage ich.
„Ich säge
auf der Arbeit Holz·enten aus.“
Das Mädchen reicht mir die Ente.
Das Holz ist glatt und
glänzt.
Eine schöne Ente.
Aber keine von mir.
Meine
Enten haben rote Füße.
Die hier hat Rollen.
Das Mädchen will mit mir spielen.
Ihre Mutter bestellt sich
einen Kaffee.
Ich erzähle den beiden von meiner Arbeit.
Einmal
habe ich Badehosen auf die Enten gemalt.
Wir lachen.
„Und, wo wollen Sie hin?“, fragt mich die Frau.
Mein Zug.
Den habe ich ganz vergessen.
Ich gucke auf meine
Uhr.
Oh nein.
„Ich muss los“, rufe ich.
Ich greife meinen Koffer und renne los.
Mein Koffer rattert
hinter mir her.
Jetzt die Treppe hoch zu Gleis 4.
Da steht mein Zug.
Nur noch wenige Schritte.
Ein lauter
Pfiff.
Türen knallen zu.
Langsam rollen die Räder
los.
Und mein Zug fährt ohne mich fort.
Ich stehe da und schaue ihm nach.
Mir wird schlecht.
Was
soll ich jetzt machen?
Inga anrufen?
Aber Inga ist in
Hamburg.
Was kann die schon tun?
Aber ich will jetzt eine
vertraute Stimme hören.
Ich wähle Monas Nummer.
Was nun?
„Na Frauke, alles klar?“, fragt Mona.
„Gar nichts ist klar.
Der Zug ist weg“, sage ich.
Und
ich fange an zu weinen.
„Nimm doch einen anderen Zug“, schlägt Mona vor.
„Geht nicht“, sage ich.
„Ich hab doch so eine billige
Fahrkarte.
Die gilt nicht in anderen Zügen.“
Eine Weile schweigen wir beide.
Dann hat Mona eine Idee.
„Hast
du deinen Schwer·behinderten·ausweis dabei?“
Habe ich.
„Mit dem kannst du doch umsonst fahren.
Mit dem
Regional·zug.“
„Und wann fährt der?“
„Keine Ahnung.“
Ich hole tief Luft und denke nach.
„Ich geh fragen“, sage
ich zu Mona.
Dann lege ich auf und schaue mich um.
Wen kann ich fragen?
Ich laufe durch den ganzen Bahnhof.
Da
sehe ich einen jungen Mann hinter einem Stand.
Er trägt eine
Uniform.
„Information“ steht auf dem Schild über ihm.
„Mein Zug ist weg“, erkläre ich ihm.
„Ich will nach
Freiburg.
Aber mit dem Regional·zug.“
„Da müssen Sie 2 Mal umsteigen“, sagt er.
Mir wird wieder schlecht.
„So oft? Das kann ich nicht.
Das
mach ich nicht.“
Der Mann tippt in seinen Computer.
„In 3 Stunden gibt es einen
Zug.
Da müssen Sie nur in Karlsruhe umsteigen.
Ich nicke.
„Hier ist Ihr Fahrplan“, sagt er.
Mit einem gelben Stift
unterstreicht er ein paar Zahlen.
Bloß nicht noch einmal den Zug verpassen.
Also gehe ich sofort
zu meinem Gleis und warte.
Zum Glück stehen hier Bänke.
Mein Handy klingelt.
Es ist Mona.
Ich kann sie nur schwer
verstehen.
Es rauscht so.
Ich sage:
„Es wird viel später.
In 3 Stunden fährt mein Zug nach
Karlsruhe.
Ich komme erst am Abend in Freiburg an.
Schade.
Wir
wollten doch Eis essen gehen.“
Mona antwortet etwas.
Aber ich kann nichts verstehen.
Also
lege ich auf.
Ich beobachte die Leute.
So vergeht die Zeit schneller.
Um
mich herum wird es immer voller.
Leute mit müden
Gesichtern.
Fröhliche Leute mit riesigen Koffern.
Auch
eine Schulklasse ist dabei.
Ein Zug kommt.
Ein ICE.
Alle steigen ein.
Nur ich
bleibe sitzen.
Ich höre Musik und warte.
Leute mit Fahrrädern kommen.
Eine
Frau mit einem dicken Dackel setzt sich neben mich.
Endlich
kommt mein Zug.
Drinnen gehe ich als erstes auf die Toilette.
Dann suche ich mir
einen Platz.
Ich setze mich nah an die Tür.
Dort ist ein
Bild·schirm.
Auf dem steht, wo der Zug als Nächstes hält.
Ich habe Angst, dass ich an Karlsruhe vorbei·fahre.
Also stelle
ich den Wecker in meinem Handy.
Der Wecker soll kurz vor
Karlsruhe klingeln.
Langsam wird es ruhig in mir.
Ich schaue aus dem Fenster.
Sehe
Wiesen, Wald und Städte.
Die Häuser sind hier anders als in
Hamburg.
Viel mehr Holz.
Und Blumen·kästen vor den
Fenstern.
In meiner Jacke kräht ein Hahn.
Das ist der Wecker von meinem
Handy.
Karlsruhe.
Wieder aussteigen und warten.
Ich
stehe auf dem Bahn·steig und gähne.
Da entdecke ich in der Menschen·menge etwas Rotes.
Einen roten
Hut.
Der kommt mir seltsam vertraut vor.
Und unter dem
roten Hut schwarze Locken.
Mona.
Das ist Mona.
Hier in
Karlsruhe?
Sie rennt auf mich zu.
„Überraschung“, ruft sie.
„Wie kommst du denn hier her?“, frage ich.
„Mit dem Regional·zug aus Freiburg“, lacht sie.
„Das
letzte Stück fahren wir zusammen.“
Dann fummelt sie in ihrer Tasche herum.
Sie zieht zwei Eis
heraus.
„Schoko oder Nuss?“, fragt sie.
Jetzt hat mein Urlaub wirklich begonnen.
Spannend und einfühlsam geschrieben